Im Juni hatten wir ein kritisches Thema für das Onlineforum gewählt. Ein Thema, was uns schon häufiger beschäftigt hat. Ein kompliziertes Thema, da es auch persönliche Meinungen umfasst.
Wenn ein Unternehmen Leitlinien hat oder für ein bestimmtes Produkt steht, kann ich mir überlegen, ob ich für dieses Unternehmen arbeiten möchte. Sollte dieses Unternehmen sich entscheiden, mit einem anderen Unternehmen zu kooperieren, wird sich das Unternehmen wahrscheinlich an die eigenen Leitlinien halten oder einen moralischen Kompromiss eingehen, um wirtschaftlich zu bleiben. Es ist jedoch immer eine wohlüberlegte Entscheidung, die getroffen wird, wobei man sich der Konsequenzen bewusst ist.
Wir haben in unserer Arbeit aber eine dritte Partei: Unsere Auftraggeber*innen – unsere Klient*innen, die wir durch die Begleitung in den Unternehmen unterstützen. Klient*innen, die das Wunsch- und Wahlrecht besitzen.
In dem Onlineforum wurde das Thema von vielen Seiten betrachtet. Deutlich wurde, dass es viele Ebenen in dem Konstrukt der Arbeitsvermittlung gibt:
1. Unsere Klient*innen, welche arbeiten möchten und unsere Unterstützung benötigen.
2. Der Träger, für den wir arbeiten und deren Leitlinien wir berücksichtigen
3. Die persönliche Meinung der Jobcoaches
Also:
1. Personenzentrierung: Wunsch- und Wahlrecht
2. Auftrag der WfbM: Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
3. Jobcoach: eigene Werte/ Moralvorstellungen
Ein Großteil der 23 Teilnehmenden des Onlineforums vertrat spontan die Meinung: Es gelte grundsätzlich das Wunsch- und Wahlrecht unserer Klientel!
Aber das bedeute nicht, dass es damit geklärt und so einfach wäre. Zurücklehnen und die Verantwortung im Wunsch- und Wahlrecht zu suchen, schien keine akzeptable Methode.
Durch Transparenz und Bereitstellen von (Hintergrund-) Informationen ist es unser Auftrag, unsere Klient*innen zu unterstützen, damit diese für sich Optionen abwägen können.
"Vor Fremd- und Selbstgefährdung schützen" bedeutet mehr als zum Beispiel die korrekte Nutzung von Arbeitsmitteln oder Maschinen.
Es wurde die Gefahr benannt, dass sich möglicherweise nicht alle zu vermittelnden Personen über die Konsequenzen ihres Berufes bewusst wären. Bin ich mir in der Vorbereitung für das Bewerbungsgespräch z.B. darüber im Klaren, ob der Konzern für den ich arbeiten möchte, anderen Menschen das Wasser wegnimmt, um es ihnen anschließend gewinnbringend zu verkaufen? Werden Produkte unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt oder transportiert? Arbeite ich in einem Unternehmen, das den Klimawandel beschleunigt oder bekämpft? Arbeite ich auf Veranstaltungen, die das Ziel haben, andere Menschen zu diskriminieren oder Schlimmeres? Arbeite ich für eine Partei, die das Gegenteil von meinen eigenen Werten als Ziel verfolgt?
Unser Auftrag ist es, berufliche Entwicklungen zu ermöglichen, eigene Erfahrungen sammeln zu lassen und berufliche Perspektiven zu schaffen. Erfahrungen lehren bekanntlich am besten. Klient*innen dürfen falsche Entscheidungen treffen und dadurch lernen. Wir sollten sie allerdings nicht schutzlos zurücklassen und verhindern, dass sie in ungewollte Situationen geraten.
Das heißt nicht, dass ich unterstütze, indem ich meine persönlichen Werte vorgebe, sondern die Basis zur Abwägung schaffe. Fragen zu stellen, lehrte uns schon die Sesamstraße.
Arbeitet man für einen Waffenhersteller, sollte man sich der weitreichenden Konsequenzen bewusst sein. Man kann Angriffe führen, sich aber auch verteidigen. Ein Thema, was je nach weltpolitischer Lage, die Sichtweise verändern kann.
Wenn ich in einem Discounter arbeite, steht die Nachhaltigkeit unter Umständen nicht ganz oben in der Prioritätenliste, sondern günstige Angebote.
Ist es aber naiv zu glauben, nur für Unternehmen arbeiten zu können, die komplett auf ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit ausgelegt sind? Gibt es überhaupt genügend Unternehmen, die diesen Werten perfekt entsprechen, um noch eine berufliche Auswahl zu haben? Und wird die Auswahl einfacher, wenn ich eine Behinderung habe? Ist es die Aufgabe einer Personengruppe, die in der Berufswelt faktisch am äußersten Rande steht, die ersten Verteidiger von Moral und Ethik zu sein?
Im Nachgang gab es Rückmeldungen zu dem Onlineforum, dass sich die Teilnehmer*innen nun über das Thema Gedanken machen. Die verschiedenen Blickrichtungen hätten dazu beigetragen, in Zukunft kritischer auf dieses Thema zu schauen. Ein klares „Ja“ oder „Nein“ kann nicht einfach aus dem Bauch heraus entschieden werden. Immerhin liegen die Entscheidung über eine Zusammenarbeit mit Unternehmen und damit die Verantwortung der beruflichen Perspektive zu einem großen Teil in der Verantwortung der Unterstützer.
Die Erkenntnis, die ich für mich aus dem Onlineforum herausziehen konnte, ist, dass es verschiedene Grenzgeber*innen in der Vermittlung gibt. Sinnvoll ist es, so gut wie möglich aufzuklären und Menschen zu befähigen, ein eigenes Urteil zu bilden und Entscheidungen zu treffen. Wenn ich als Jobcoach etwas aus persönlichen Gründen nicht unterstützen kann, kann dies vielleicht ein*e Kolleg*in übernehmen? Muss der Träger mit seinen Leitlinien auch die Leitlinie der beruflichen Perspektive unserer Klientel sein?
Die Reflexion als Arbeitsvermittler*in ist immer wieder wichtig. Man sollte hinterfragen, auf welcher Ebene die Bedenken sind. Sind sie persönlich, juristisch einzuordnen oder bedingt durch Leitlinien des Trägers? Daraus folgernd, könnte auf diesen Ebenen bearbeitet und kritisch hinterfragt werden, um nicht durch Willkür des Unterstützerkreises über berufliche Perspektiven Anderer zu entscheiden.
Kritisch bleiben und reflektieren.
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