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Warum die virtuelle Werkstatt bessere Erfolge erzielt

Die Themen dieses Newsletters
  1. Warum die virtuelle Werkstatt bessere Erfolge erzielt
  2. OnlineForum: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auf ausgelagerten Arbeitsplätzen
  3. Jahrestagung 2023: Betriebsintegrierte Arbeit FÜR ALLE?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in unserem Newsletter haben wir es uns zur Gewohnheit gemacht, Themen der beruflichen Integration aufzugreifen und zu vertiefen. In dieser ersten Ausgabe 2023 gehen wir der Frage nach, warum eine virtuelle Werkstatt bessere Reha-Erfolge erzielt, die traditionelle aber weiterhin gebraucht wird.

Dafür schauen wir ins hessische Dieburg, an den Beginn einer Entwicklung im Jahre 1987, die der Diplom-Soziologe Reinhard Saal von Anfang an begleitete. Dort nämlich startete damals die erste virtuelle Werkstatt der Republik, lange bevor es diesen Begriff gab. Die Idee der Werkstattgründer war es, ein Arbeitsangebot für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu schaffen, das sich der Finanzierungsmöglichkeit der Werkstatt bediente, bei dem die Arbeitsplätze aber überwiegend in Betrieben angesiedelt waren.

Von Beginn an kooperierte die neue WfbM eng mit dem VW-AUDI-Vertriebszentrum Rhein-Main für Ersatz- und Zubehörteile (heute: VW-Originalteilelogistik). Die Klienten konnten dort schon während des Berufsbildungsbereichs einsteigen und erhielten ihre Qualifizierung am Arbeitsplatz. Das Konzept gibt es bis heute und auch diese Kooperation existiert noch, mittlerweile sind weitere Partnerbetriebe hinzugekommen.

Reinhard Saal gehörte zu den Mitarbeitern der ersten Stunde. Seine Aufgabe war es, das Projekt fachlich zu begleiten und die Ergebnisse auszuwerten. Er hat sich in seinem Arbeitsleben mit den unterschiedlichen Auswirkungen von Qualifizierung und Arbeit innerhalb und außerhalb der Werkstatt beschäftigt. In einem Gespräch mit 53° NORD fasste er die Erfahrungen seiner Arbeit zusammen. Hier seine zentralen Aussagen.

Zum Vergleich zwischen den Reha-Erfolgen der Virtuellen Werkstattangebotes mit denen einer konventionellen Werkstatt:

„Wir konnten zeigen, dass die Werkstatt eine Form des Supported Employment entwickeln und damit Reha-Erfolge erzielen kann, die weit über das hinausgehen, was konventionelle Werkstätten zu erreichen vermögen. Die besondere Wirksamkeit des Supported Employment wurde mittlerweile in mehreren wissenschaftlichen Evaluierungsstudien im deutschsprachigen Raum bestätigt. Ich denke, dass es der Zugang zur beruflichen Alltagswelt von Betrieben ist, der eine wirksame berufliche Sozialisation und Rehabilitation im Supported Employment ermöglicht.“

Zur besonderen Wirksamkeit des Supported Employment-Ansatzes und zum blinden Fleck der Werkstätten:

„Werkstätten sind gut darin, Qualifikationsangebote zu machen, zu schulen, beruflich einzuarbeiten. Neben der formalen Ebene gibt es aber auch eine informelle, teils unbewusste Ebene, die für die Befähigung und Motivation der Person wichtig ist. Und da sind Werkstätten nicht so gut, weil sie das nicht erkennen. Da haben sie einen blinden Fleck. Die Arbeitswelt hat zum einen eine formale Struktur. Es gibt Funktionsträger mit unterschiedlichen Aufgaben und festgelegte Arbeitsabläufe. Auch für die Berufsbildung gibt es die feststehenden Lerninhalte, Curricula und Rahmenbildungspläne. Das ist der sichtbare, der bewusste Teil.

Alle Vorgänge, alle Handlungen sind aber auch durch eine informelle Handlungskoordination gedeckt. Das sind eigene Regeln in den sozialen Beziehungen, Hierarchien, Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten. Hier wird z.B. entschieden, ob jemand in der Firma willkommen ist, ob er unterstützt wird, welche Gestaltungsmöglichkeit er bekommt. Diese informelle Ebene setzt dem Management Grenzen, kann zum Beispiel Leistungsdruck abfedern. Für die Teilnahme an beruflichen Alltagswelten ist diese Ebene oft wichtiger als die formale. Die Prozesse sind in der WfbM erheblich anders strukturiert als in der Arbeitswelt außerhalb der WfbM. Die Werkstatt kann dieses Trainingsfeld nicht vollwertig simulieren. Beim Supported Employment sind die Klienten in einer Welt, in der die Probleme sichtbar werden, wo die Person sich ihnen stellen und Lösungen entwickeln kann.“

Zu den Fähigkeiten, die die Klienten für ihre berufliche Arbeit benötigen:

„Zu den grundlegenden Fähigkeiten, die unsere Klienten erlernen sollten, gehört es, die eigene Belastung und auch die Belastungsgrenzen wahrzunehmen. Die richtige Balance findet man nur im Vollzug, am Arbeitsplatz, das geht nicht theoretisch. Und wenn man das für sich gefunden hat, muss man die Erwartungen des Betriebes erkennen und ggf. verändern. D.h. man muss den Kollegen klarmachen, wo die eigenen Grenzen liegen. Kommunikation, Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit gehören also auch dazu.“

Zu der Notwendigkeit, das traditionelle Werkstattangebot beizubehalten:

„Es wird immer Klienten geben, die auch bei bester Förderung auf die Werkstatt angewiesen bleiben. Im Bereich der psychisch Erkrankten sind das die mit einer Negativsymptomatik, also mit Symptomen wie sozialem Rückzug, Apathie und Affektverflachung. Bei uns in Dieburg zog ein Teil der Beschäftigten eine Tätigkeit in der Werkstatt dem Betrieb vor. Für manche ist das gar keine Option, die würden Sie eher dazu bringen, sich zu suizidieren als in eine Firma zu gehen.“

Zu den Problemen einer Diagnose bzw. Voraussage des Vermittlungserfolgs

„Ich habe in meinem Berufsleben aber lernen müssen, dass wir keine Vorauswahl treffen sollten. Es gab immer wieder Fälle, bei denen unsere Prognose falsch war. Leute, die wir nur aus der Not heraus in einen Betrieb gebracht haben, weil wir dort jemand brauchten und die sich dort wohlgefühlt haben. Und Leute, die wir für topfit hielten und die nicht zurechtkamen. Die Gründe liegen auf der Ebene des Arbeitsalltags. Wie jemand in eine Firma hineinkommt, wie sich die Beziehungen gestalten, ob das zusammenpasst, welche Offenheit auf beiden Seiten da ist und wie sich das dann entwickelt.“

Zur Inklusionsbereitschaft der Betriebe:

„Es ist ja nicht so, dass wir in den ‚anonymen Markt vermitteln‘, wie das immer heißt. Unsere Arbeitsplatzakquisition braucht spezielle Bedingungen, besondere Vereinbarungen und Absprachen, ein Einarbeiten und Begleiten, das es in der Arbeitswelt sonst nicht gibt. Wir umgehen den Markt und suchen den Zugang zu Arbeitswelten, die sich an die Bedürfnisse unsere Klienten anpassen. Meine Erfahrung lautet, die Hilfsbereitschaft der Kollegen in den Betrieben wird oft unterschätzt. Helfen ist ein menschliches Grundbedürfnis und das findet man auch in Betrieben. Diese Hilfsbereitschaft stößt aber an Grenzen und kann leicht überfordert werden. Da muss man schauen: Was brauchen die Kollegen an Unterstützung? Manchmal brauchen sie mehr Unterstützung als unsere Klienten. Aber das grundsätzliche Engagement ist immer wieder erstaunlich.“

Zum Verhältnis zwischen konventionellen und virtuellen Werkstattplätzen:

„Meine Erfahrungen beziehen sich auf unsere Reha-Werkstatt. Im 25-jährigen Untersuchungszeitraum konnten wir zwischen 50 und 70 Prozent unserer Klientel dauerhaft extern betreuen. In einem weniger wirtschaftsstarken Einzugsgebiet ist das vielleicht nicht ganz zu erreichen.“


Das komplette Interview von 53° NORD mit Reinhard Saal finden Sie hier.


Online-Diskussionsforum am 30. März 2023

Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auf ausgelagerten Arbeitsplätzen

Die Diskussionsforen von UN-Konventionell finden im Abstand von rund zwei Monaten statt und stehen allen Interessenten unabhängig von der Vereinsmitgliedschaft offen, sie sind kostenlos. Die zweistündigen Zoom-Konferenzen thematisieren Praxisfragen der Vermittlung auf betriebsintegrierte Arbeitsplätze – von der Vorbereitung und Qualifizierung bis zur Festanstellung. Der offene Austausch bietet die Möglichkeit, in einem informellen Rahmen voneinander zu lernen, gute Praxis zu verbreiten und Schwierigkeiten zu überwinden.

Die Sicherstellung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes von Klient*innen auf ausgelagerten Arbeitsplätzen gehört zu den grundlegenden Pflichten von Fachdiensten und Werkstätten. Gleichzeitig ist die Aufgabe spezifisch anders als z. B. die vergleichbare Aufgabe im eigenen Betrieb. Fachdienste und Werkstätten sind hier gemeinsam mit dem Betrieb vor Ort in der Verantwortung. Dabei geht es u. a. um die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen, die Sicherstellung der Ersten Hilfe, Unterweisungen sowie die Bereitstellung persönlicher Schutzausrüstung. Zu beachten sind aber auch die Einbindung in Arbeitsmedizinische Untersuchungen und Arbeitsplatzbegehungen vor Ort, etc.

Insofern tauchen in den benannten Themengebieten immer wieder Fragestellungen auf wie:

 •   Können Gefährdungsbeurteilungen der Betriebe genutzt werden?
 •   Wie sehen Vereinbarungen zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
     aus und lassen sich solche in einen Vertrag zum BiB-Arbeitsplatz integrieren?
 •   Wie sehen die Aufteilungen der Zuständigkeiten hinsichtlich der PSA
     (persönliche Schutzausrüstung) aus und wie wird das vertraglich vereinbart?
 •   Wie kann der Arbeitsschutz in einfacher Sprache (UK) gefasst und auch für
     Betriebe genutzt werden?
 •   Wie können Schulungsnachweise durch Betriebe ausgestellt werden und
     wie wird die Teilnahme der Klient*innen sichergestellt?
 •   Wie kann der immer wieder stattfindende Austausch bzgl. der Zuständigkeiten,
     bspw. im Falle eines Arbeitsunfalls sicher gewährleistet werden?
 •   Welche Berufsgenossenschaft ist in der Zuständigkeit?
 •   Wie vermeiden wir doppelten Aufwand bei Meldungen (oft laufen
     Meldungen doppelt, Betrieb und WfbM oder Dienst)?

Zu Beginn des Forums berichten Kolleg*innen aus der täglichen Arbeit. Der anschließende, offene Austausch bietet die Möglichkeit, in informellem Rahmen voneinander zu lernen, gute Praxis vorzustellen, Probleme zu diskutieren und Schwierigkeiten zu überwinden. Erfahrungsaustausch, Netzwerken, Mut machen, Projekte und Ideen einbringen, Fragen stellen und Tipps geben: Beste Unterstützung für einen gelingenden Arbeitsalltag! Die Veranstaltung moderieren Christophe Hessling (Iserlohn) und Hans-Günter Kripko (Schwalmstadt).

Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz auf ausgelagerten Arbeitsplätzen
Online-Diskussionsforum
30. März 2023, 10:00 bis 12:00 Uhr
Die Veranstaltung ist kostenfrei

Hier können Sie sich anmelden!


Frankfurt/Main, 20. und 21. Juni 2023
Jahrestagung des Vereins UN-Konventionell 2023

Prüfstein hoher Hilfebedarf - Ist betriebsintegrierte Arbeit für alle möglich?

Können Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf in Betrieben tätig sein? Lange Zeit hätte man diese Frage verneint. Schließlich sind Werkstätten aus der Überzeugung entstanden, dass Menschen mit schweren Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Es galt als ausgemacht, dass es nur die Fittesten und Leistungsfähigsten in eine Tätigkeit außerhalb der WfbM schaffen könnten.

Als nach der Jahrtausendwende der Jobcoaching-Ansatz mehr Vermittlung in Betriebe ermöglichte, kamen die Integrationsassistent*innen zu einer wichtigen Erkenntnis: Nicht die Leistungsfähigkeit ist das Erfolgskriterium für eine Vermittlung, sondern der Wille und die Motivation der Person, in einem Betrieb zu arbeiten. Und so wurden auch immer mehr stärker beeinträchtigte Menschen vermittelt.

Noch immer stellt sich aber die Frage, ob diese Vermittelbarkeit ihre Grenzen hat. Ist grundsätzlich jede Person vermittelbar, unabhängig von der Art und Schwere ihrer Behinderung, wie es der Inklusionsgedanke und die UN-Behindertenrechtskonvention nahelegen? Die Vermittelbarkeit von Personen mit hohem Betreuungs- bzw. Pflegeaufwand oder herausforderndem Verhalten wird zum Prüfstein für die Realisierbarkeit von Inklusion.

Der Verein UN-Konventionell e.V. will dieser Frage und den damit verbundenen Problemstellungen auf seinem diesjährigen Fachtag nachgehen, der traditionell im Inklusionshotel Hoffmanns Höfe in Frankfurt stattfindet.

Wie immer ist die zweitägige Veranstaltung sehr praxisnah angelegt. Der erste Tag beleuchtet die Grundsatz- und Praxisfragen des Tagungsthemas über eine Podiumsdiskussion mit erfahrenen Fachleuten, gefolgt von einem ersten Erfahrungsaustausch der Teilnehmenden. Der zweite Tag bietet Praxislösungen in Form von Workshops. Dabei geht es unter anderem um Antworten auf die Fragen: Wie lässt sich Barrierefreiheit im Betrieb realisieren? Wie steht es mit pflegerischen Hilfen? Wie lässt sich ein Fahrdienst organisieren? Wie bewältigt der Betrieb die Anforderungen von besonderem oder herausforderndem Verhalten? Welche zeitlichen und strukturellen Regelungen sind möglich, was hat sich bewährt?

Neben Lösungen aus den Vermittlungsdiensten der Werkstätten bieten die Workshops auch innovative Anregungen aus Tagesförderstätten, die in dem Hamburger Projekt "Auf Achse" seinen Ausgang nahmen und die mittlerweile bundesweit in den Förder- und Betreuungsbereichen Nachahmung finden. Sie organisiert Arbeit in Form von sozialraumorientierten Dienstleistungen, die temporär von kleineren Gruppen von Tafö-Beschäftigten übernommen werden. Dabei geht es vor allem um soziale Bezüge, um Kommunikation und gesellschaftlichen Austausch. Alle vorgestellten Beispiele wurzeln in derselben Erkenntnis: Die Arbeit im Sozialraum ermöglicht gerade Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf Anerkennung in ihrem sozialen Umfeld, macht ihre Fähigkeiten für viele Menschen sichtbar und gibt ihnen Selbstbestätigung.

Die Jahrestagung setzt wie immer auf eine Mischung aus Information und Erfahrungsaustausch. Am ersten Tag können über Zoom auch Online-Gäste teilnehmen. Am zweiten Tag ist dies wegen der Aufteilung in Workshop-Gruppen leider nicht möglich.

Jahrestagung UN-Konventionell 2023
Prüfstein hoher Hilfebedarf - Ist betriebsintegrierte Arbeit für alle möglich?

Termin: 20. und 21. Juni 2023
Ort: Frankfurt am Main

Kosten:

Beide Tage in Präsenz:
200,00 Euro zzgl. MwSt. für Mitglieder
250,00 Euro zzgl. MwSt. für Nichtmitglieder

Erster Tag virtuell
50,00 Euro zzgl. MwSt. für Mitglieder
80,00 Euro zzgl. MwSt. für Nichtmitglieder

Erster Tag virtuell, zweiter Tag in Präsenz:
100,00 Euro zzgl. MwSt. als Mitglied
150,00 Euro zzgl. MwSt. als Nichtmitglied

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Herzliche Grüße