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Was Integrationsbegleiter von Werbefachleuten lernen können

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

sollten Sie bei unserer Jahrestagung 2018 nicht dabei gewesen sein, so erfahren Sie in dieser Nachlese das Wichtigste in gebotener Kürze!

Information, Arbeitsplatzakquise, Haltungsänderung

Für Integrationsbegleiter und Jobcoachs hat das Thema Öffentlichkeitsarbeit eine besondere Bedeutung. Sie müssen über ihr Angebot informieren, sie wollen Praktika und Arbeitsplätze akquirieren, aber vor allem müssen sie eine positive Einstellung zum Inklusionsgedanken erzeugen. "Information, Arbeitsplatzakquise, Haltungsänderung" lautete deshalb auch der Titel der UN-Konventionell Jahrestagung 2018, die am 5. und 6. Juni in Frankfurt stattfand. Der Untertitel: "Wie sich die Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich für die interne und externe Akquise nutzen lassen".

Ein wesentlicher Teil der Tätigkeit von Integrationsbegleitern ist Überzeugungsarbeit. Sie müssen Firmenchefs und ihre Mitarbeiter ebenso erreichen wie Eltern und Angehörige. Gruppenleiter und Sozialdienste der Werkstatt ebenso wie Beschäftigte, die oft den sicheren Halt ihrer Gruppe dem Risiko des "Weges nach draußen" vorziehen. Andere von der eigenen Sichtweise zu überzeugen, ist ein wesentliches Ziel von Kommunikation. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich bei Kommunikations- und Marketingexperten Rat zu holen, wie man einen solchen Kommunikationsprozess sinnvoll aufbaut.

Jahrestagung 2018

Jahrestagung in Frankfurt: Vortrag im Plenum und praktische Übungen im Workshop von Andreas Schlottmann

Genau dies war der Ansatz dieser Jahrestagung. Andreas Schlottmann, erfahrener Werbefachmann und Geschäftsführer der headline: Werbeagentur in Iserlohn, erläuterte in seinem Eröffnungsvortrag die Prinzipien der Werbekommunikation. Sie lassen sich, so seine Botschaft, auch auf die Kommunikation mit Arbeitgebern übertragen. Hier ist es nicht ein Produkt oder eine Dienstleistung, von der jemand überzeugt werden soll, sondern eine Idee. Das Ergebnis ist identisch: Der Käufer kauft das Produkt, der Arbeitgeber willigt in das Praktikum bzw. die Festanstellung ein.

Die Überzeugungsarbeit ist leichter, wenn dem Arbeitgeber der Dienst, seine Arbeit und seine Vorgehensweise schon vertraut sind, wenn er sie schätzt. Andreas Schlottmanns Rat: "Der Dienst muss in seiner Region zur Marke werden. Er muss für die Kunden − oder noch besser: für die gesamte Bevölkerung − eine ‚Persönlichkeit‘ sein. Sie müssen ihn als einen ‚guten Freund‘ betrachten, dem sie vertrauen und den sie mögen. Sie müssen ihm Eigenschaften zuschreiben wie ‚Nutzen stiftend‘, ‚menschlich‘, ‚verbindlich‘, ‚verlässlich‘, ‚empathisch‘ und, wenn möglich, ‚unersetzlich‘."

Wie stellt man eine solche positive Beziehung her? Andreas Schlottmann: "Erzählen Sie Geschichten. Seit Jahrtausenden wird Wissen über Geschichten weitergetragen. Geschichten verbinden Botschaften mit Emotionalität und erreichen die Menschen. Die Geschichten müssen authentisch sein. Sie brauchen Protagonisten, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann. Neben den Protagonisten, also den behinderten Menschen und den Arbeitgebern, muss der Dienst (die "Marke") im Zentrum des Geschehens stehen und für einen guten Ausgang sorgen. Es darf gerne Probleme und Verwicklungen geben, die Geschichte sollte einen Spannungsbogen haben, der Leser sollte mitfiebern können: Es muss ihn emotional ansprechen. Aber am Ende muss es gut ausgehen, es sollte sich ein gutes Gefühl mit der Marke verbinden."

Natürlich nützt es noch nichts, wenn es nur eine einzige oder nur wenige solche Geschichten gibt. Gute Markenkommunikation ist omnipräsent, sie nutzt unterschiedliche Wege und Medien. Andreas Schlottmann: "Dazu gehören Berichte in regionalen Medien, etwa in der Tageszeitung, wenn möglich auch in Rundfunk und Fernsehen, eigene Veranstaltungen sowie Events, an denen Sie sich beteiligen. Interviews mit Firmen zu ihren positiven Erfahrungen in der Firmen- oder Verbandszeitschrift sind hilfreich, die Herausgabe eines eigenen Newsletters, eine eigene Hauszeitschrift, die Nutzung von Online-Plattformen wie die eigene Website oder die Präsenz bei Facebook.Vielleicht auch gesponserte Anzeigen."

Damit der Dienst als Marke wahrgenommen wird, braucht er einen eingängigen Namen, ein klares, positives Erscheinungsbild und gutes, symbolträchtiges Bildmaterial. "Erzeugen Sie ein ‚Grundrauschen‘ mit ihrer Präsenz", rät der Werbefachmann. "Nutzen Sie jede Gelegenheit, sich ins Spiel zu bringen. Wenn Sie immer die gleiche Botschaft vermitteln, glauben die Empfänger diese nach einer gewissen Zeit. Wiederholungen sind mächtig, auch wenn sie penetrant zu sein scheinen."

Der Erstkontakt mit einem Arbeitgeber sollte auf diesem Markenimage aufbauen. Ist es noch nicht etabliert, helfen auch Referenzen von vertrauenswürdigen Kollegen. Der Einstieg sollte über die Emotion gehen: "Stellen Sie die Person vor, die vermittelt werden soll, erzählen Sie ihre Geschichte, erreichen Sie das Herz", empfiehlt der Werbefachmann. Personenbezogene Akquise ist wirksamer als Kaltaquise. Die Argumente für eine Einstellung kommen erst im zweiten Schritt. Hier ist die entscheidende Frage: Was habe ich als Arbeitgeber, was hat mein Betrieb davon? Die Argumentation muss diesen Blickwinkel fokussieren. "Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler", mahnt Schlottmann. Wichtig auch: Den Kunden nicht mit zu hohen Anforderungen überfordern, schrittweise vorgehen: Vorstellungstermin – Schnupperpraktikum – längeres Praktikum …, immer mit der Möglichkeit für den Betrieb, sich gesichtswahrend aus diesem Prozess herausziehen zu können, wenn es scheitert. Beim nächsten Mal klappt es vielleicht besser.

Für jede Form von Kommunikation, ob verbal oder in schriftlicher Form, empfiehlt Andreas Schlottmann das AIDA-Prinzip. Die vier Buchstaben stehen für Attention – Interest – Desire – Action. Diese Abfolge besagt: Erst die Aufmerksamkeit des Gegenübers erregen – durch eine Irritation, eine freche Behauptung, ein ungewöhnliches bzw. symbolträchtiges Bild, einen aktuellen Anlass oder eine berührende Geschichte. Als Zweites sein Interesse oder seine Neugierde wecken, also das Thema für ihn interessant bzw. spannend machen. Dann seine Begehrlichkeit erzeugen – ihm einen Mehrwert, einen Nutzen in Aussicht stellen, ihm Vorteile versprechen. Zum Schluss: ihm die Möglichkeit zur Aktion, zum Handeln geben, sein Interesse nutzen, ihm eine Antwort geben auf die Frage: Was kann ich tun? Was ist mein erster Schritt? Die AIDA-Formel ist über 100 Jahre alt und immer noch aktuell. Sie sollte als Richtschnur alle Informationen und Werbemaßnahmen eines Dienstes leiten.

Die zusammenfassende Botschaft von Andreas Schlottmann: "Menschen möchten umgarnt und informiert werden. Sie interessieren sich für Themen, Angebote und vor allem für ihren eigenen Nutzen, und das unabhängig vom verwendeten Medium." Übersetzt: Egal über welchen Kanal Sie Ihre Zielgruppe erreichen wollen, kommunizieren Sie Geschichten und Botschaften, benennen Sie den Vorteil, den sie hat und geben Sie ihr die Möglichkeit zu handeln. Und noch ein Hinweis: "Alles ist Kommunikation, seien Sie sich dessen bewusst. Wir kommunizieren permanent durch Mimik, Gestik, Kleidung und − ab und zu − durch Sprache. Alle Äußerungen tragen zum Gesamtbild, zum Image Ihrer ‚Marke‘ bei. Kommunizieren Sie also konsequent und bewusst vom Logo bis zur Telefonansage."

Drei Workshops

Im ersten der drei angebotenen Workshops vertiefte Andreas Schlottmann die Inhalte seines Vortrags mit einer praktischen Übung: Die Teilnehmer gestalteten einen Flyer mit dem Entwurf der Botschaft, skizzierten Texten und der grafischen Umsetzung.

Der zweite Workshop thematisierte die interne Öffentlichkeitsarbeit der Fachdienste, also ihre Kommunikation gegenüber Geschäftsführung, Gruppenleitungen, Beschäftigten sowie Eltern und Angehörigen. Generell gelten hier dieselben Prinzipien wie in der externen Kommunikation: Die Arbeit des Dienstes, sein Vorgehen und seine Erfolge müssen auch in der Werkstatt publik sein. Sie sollten als gemeinsamer Erfolg verstanden werden und die Kollegen und Beschäftigten stolz machen. Im Workshop wurde klar, dass dies nicht immer einfach ist, weil Gruppenleiter andere Zielsetzungen verfolgen, für den wirtschaftlichen Erfolg ihres Bereichs verantwortlich und auf bewährte und gut eingearbeitete Mitarbeiter angewiesen sind. Hier gilt es, Empathie und Verständnis für ihre Situation zu zeigen und nach Kompromissen zu suchen. Auch versteckte Ängste um den eigenen Arbeitsplatz lassen sich thematisieren und im Gespräch auf eine realistische Basis bringen. Trotz gelegentlich auch als unsachlich empfundenen Äußerungen von Kollegen sollten die Fachdienstmitarbeiter sich um ein gutes Klima bemühen, die Kollegen möglichst ins Boot holen, viel informieren, die Vorarbeit der Gruppenleiter würdigen und honorieren, über Verläufe berichten und gemeinsame Besuche bei der neuen Arbeitsstelle ermöglichen. Tenor: Es geht uns nicht um Kategorien wie wertvoller, weniger wertvoll, besser oder schlechter, sondern um den zu der Person passenden Weg. In Berichten, Artikeln und Filmbeiträgen kann man Geschichten über erfolgreiche Vermittlungen solchen von zufriedenstellenden Arbeitsplätzen in der WfbM gegenüberstellen. Wichtig für den Dienst ist allerdings die Rückendeckung der Leitung.

Im dritten Workshop füllte Madeleine Leube von den Mainfränkischen Werkstätten in Würzburg den Eröffnungsvortrag von Andreas Schlottmann auf ihre Weise mit Leben. Vor drei Jahren hat sie mit ihrem Team "INklusiv! Gemeinsam arbeiten" die Vermittlungstätigkeit für ihre Werkstatt aufgenommen. Das Team betreut mittlerweile über 100 betriebsintegrierte Arbeitsplätze, 70 davon sind in den letzten drei Jahren entstanden. Dieser Erfolg war das Ergebnis eines geplanten, systematischen Handelns. Der Dienst wurde Anfang 2015 in einer großen Eröffnungsveranstaltung als gemeinsames Projekt der Mainfränkischen Werkstätten implementiert. Die Mitarbeiter waren in Dienstversammlungen und über die internen Kommunikationswege über die Zielsetzung informiert worden. Auch der Werkstattrat und der Elternbeirat waren eingebunden. Der Fachdienst wurde direkt der Geschäftsführung unterstellt. Das Team startete, auf Wachstum angelegt, gleich mit vier Personen und erhielt eigene Räumlichkeiten in der Innenstadt. Der Gründung vorausgegangen war eine vierjährige Vorbereitungsphase, in der u.a. eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung mit dem Kostenträger ausgehandelt wurde. Eine Anschubfinanzierung durch Aktion Mensch erleichterte den Start.

Auf kommunaler und regionaler Ebene startete INklusiv! Gemeinsam arbeiten" mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit und wählte nicht den Weg über das traditionelle "Klinkenputzen". Das Team suchte und aktivierte Kontakte zu Entscheidern vor Ort, also zu Leistungsträgern, Schwerbehindertenbeauftragten, Landräten, Bürgermeistern, zu Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Kirchenverbänden. Auch engagierte Bürger oder Firmeninhaber leisteten ihren Beitrag zur Teilhabe. Es gab gemeinsame Projekte und Aktionen, etwa "Von der Region, für die Region", das "Netzwerk exklusiv", den "Gönnerkreis", "Arbeit ist Chefsache" sowie die Vorstellung des Dienstes auf Bürgermeisterdienstversammlungen.

Unter dem Namen "INklusiv! Gemeinsam arbeiten" bauten Madeleine Leube und ihre Kollegen planmäßig eine eigene Marke auf, schufen eine eigene Symbol- und Bildsprache, wählten eigene Farben, schufen ein eigenes Logo mit Bezug zum Lebenshilfelogo der Einrichtung. Ausgestattet mit dieser Identität wurde das Team in vielen Arbeitskreisen und bei diversen Veranstaltungen aktiv: Etwa bei "Miteinander vor Ort", im Personalernetzwerk, bei der Allianz der Fachkräfte für Mainfranken, an der Fachhochschule und der Universität Würzburg, beim Firmenlauf, bei einer Rundfahrt mit dem Bezirk, bei der Woche der Inklusion, als Mitgestalter auf dem Stadtfest Kitzingen, bei der EXPO Lohr am Main oder bei der Landesgartenschau 2018 in Würzburg. Die Vermittelten waren überall als Experten in eigener Sache vertreten.

Fazit

Die mehr als 50 Teilnehmer der Tagung nahmen eine Vielzahl von Anregungen mit nach Hause. Allerdings macht das auf einer solchen Veranstaltung vermittelte Handwerkzeug die Teilnehmer noch nicht zu Handwerkern, sondern bestenfalls zu Werkzeugbesitzern, so die Warnung des Werbefachmanns Andreas Schlottmann. Die richtige Anwendung braucht viel Erfahrung und Übung. Eine Erkenntnis nahmen allerdings alle Beteiligten aus der Veranstaltung mit: Die Arbeit eines Integrationsdienstes ist im wesentlichen Kommunikation und unterliegt speziellen Regeln, die auch im Marketing und in der Werbung verwandt werden. Um erfolgreich zu sein, ist es daher sinnvoll, sich dieses Wissen anzueignen und sich durch die Experten unterstützen zu lassen.

Zweiter Vorsitzender neu gewählt

Auf der Mitgliederversammlung des Vereins UN-KONVENTIONELL wurde Christophe Hessling zum neuen Zweiten Vorsitzenden gewählt. Er leitet bei den Iserlohner Werkstätten die Virtuelle Werkstatt sowie das Projekt Bahnsteig 42 und übernimmt den Stab von Hartmut Rotermund, der sich bei Leben mit Behinderung Hamburg anderen Aufgaben widmet.


Aus der Praxis: "Alle meine Sinne für die Klienten"



Kontakt

Sebastian Weyhing
integrationsservice arbeit - isa, Hamburg
s.weyhing@alsterarbeit.de


Wir wünschen Ihnen entspannte und sonnige Tage und senden
herzliche un-konventionelle Grüße