Logo UN-KONVENTIONELL


Zertifizierungen in der Sozialraumarbeit

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in diesem Newsletter wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie Zertifizierungen in der Sozialraumarbeit nützlich sein können. Sicher, viele verdrehen die Augen, wenn sie an Zertifizierungen, an Audits und Überprüfungen, lästige Prozeduren denken. Dabei, lässt man sich erst einmal tatsächlich darauf ein, entwickelt sich das vermeintlich trockene Thema um Norm und Qualitätsmanagement zu einem Wegweiser für unsere tägliche Arbeit. Aber lesen Sie selbst!

Wie unterstützen uns Zertifizierungen bei der Sozialraumarbeit?

Mittlerweile sind fast alle Werkstätten für Menschen mit Behinderung nach DIN ISO 9001zertifiziert. So ist eine Zertifizierung unerlässlich für die Anerkennung des Berufsbildungsbereichs in der WfbM durch den Kostenträger, die Agentur für Arbeit, denn: ohne AZAV keine Refinanzierung. Darüberhinaus geben Normen wie die DIN ISO 9001:2015 oder auch die Selbstbewertung nach EFQM (European Foundation for Quality Management) auch Strukturen vor und dienen als Steuerungselemente im Management der Sozialunternehmen. Denn sie helfen, konsequent, gradlinig und Schritt für Schritt die eigenen Ziele zu verfolgen. „Das Qualitätsmanagement hält fest, was wir festgelegt haben, um unsere Arbeit gut zu machen“, erklärt Hans-Günter Kripko, Bereichsleiter WfbM beim Hessischen Diakoniezentrum Hephata in Schwalmstadt. „Im QM beschreiben wir nachvollziehbare Wege für die beteiligten Partner und es stellt sicher, dass Vereinbarungen zum beiderseitigen Nutzen umgesetzt werden. Deshalb müssen wir die Ergebnisse unserer Arbeit auswerten und überprüfen: Haben wir auch tatsächlich das gemacht, was wir zu tun immer behauptet haben?“

Praxis in der Sozialraumarbeit

Normen wie die DIN ISO 9001:2015 oder EFQM verpflichten die Akteure, sich über Arbeitsprozesse detailliert Gedanken zu machen und Strukturen und Verantwortlichkeiten für anstehende Aufgaben festzulegen. Die Unternehmensziele im Hinterkopf, lenken diese Prozesse die tägliche Arbeit. Und das gilt gleichermaßen für die Sozialraumarbeit und die Sozialraumorientierung. Was das konkret heißt? Christophe Hessling, Werkstattleiter in Iserlohn, berichtet aus seiner Praxis:

„Ein renommierter ortsansässiger Architekt und Investor wollte der Stadt einen ungenutzten Bahnhof abkaufen, sanieren und mit ihm als kulturellem Zentrum das Quartier beleben. Er hatte schon mehrfach mit der Diakonie Mark Ruhr und den Iserlohner Werkstätten zusammengearbeitet, also gute Voraussetzung, um gemeinsam ein grobes Konzept zu entwickeln und für die Realisierung alle beteiligten Parteien zusammenzubringen. Alle an einem Tisch - das war für uns ein weiterer Türöffner in den Sozialraum, in dem wir sehr aktiv bereits unterwegs sind. Am runden Tisch haben wir zu anderen, auch neuen Mitarbeitern in der Gemeindeverwaltung und Politik Kontakt bekommen. Wir haben diskutiert, uns gegenseitig eingeladen und besonders die Verwaltung für unsere Arbeit in der Werkstatt interessiert. Über diese noch engere Kooperation mit der Stadtverwaltung entstanden schließlich betriebsintegrierte Arbeitsplätze, sogenannte BiAps. Beispielsweise hatten wir einen jungen Werkstattbeschäftigten dort auf einen BiAp vermitteln können, der gute Arbeit leistete und sehr zuverlässig war. Das fiel der Ressortleiterin auf und sie begann, ihn gezielt zu fördern. Er entwickelte tatsächlich ungeahnte Talente, schnell war klar: Er ist fit für eine Ausbildung, wenn er von uns begleitet und unterstützt wird. Eine Ausbildung in der Stadtverwaltung zum Verwaltungsfachanstellten allerdings war zu komplex, aber die Ressortleiterin unterstützte engagiert die Suche nach einem Ausbildungsplatz - mit Erfolg. Zunächst wechselte der junge Mann auf einen BiAp im Einzelhandel bei Marktkauf in Iserlohn. Nachdem der Geschäftsführer von der Ausbildungsfähigkeit überzeugt war, übernahm er ihn in die Ausbildung zum Verkäufer - in Zusammenarbeit mit dem Integrationsfachdienst. Mit Bravour und gutem Abschluss bestand der ehemalige Werkstattbeschäftigte seine Prüfung. Folge: Auf Betreiben des Geschäftsführers hängte der frischgebackene Verkäufer ein weiteres Jahr Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann dran, und, niemand wird’s wundern, auch diese Ausbildung schloss er mit gutem Erfolg ab. Resultat: Marktkauf übernahm ihn in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.“

Struktur fürs Handeln

Diesem Prozess, der Begleitung des WfbM-Beschäftigten über den BiAp in Ausbildung und Anstellung, liegen Analyse und die Orientierung aus den Managementprozessen zugrunde, die eine Struktur fürs Handeln und Vorgehen vermitteln: „Sie haben wir gezielt und bewusst für unsere Arbeit im Sozialraum eingesetzt“, meint Hessling. Also, was braucht man, um die eigene Arbeit - Menschen auf BiAps oder in den ersten Arbeitsmarkt zu begleiten - gut zu machen? Beispielsweise braucht man Arbeitgeber und Kooperationspartner, die bereit sind, den Weg des Übergangsmanagements, ein Begriff des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, für Menschen mit Handicap mitzugehen, auch bis zum Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt. Solche Partner engagieren sich, vermitteln Kontakte, finden Außenarbeitsplätze oder bieten sie selbst an. „Ohne sie ist unsere Arbeit nicht erfolgreich“, resümiert Christophe Hessling. „Wir müssen sie also kennenlernen und für unsere Beschäftigten begeistern. Die Norm DIN ISO 9001 bezeichnet sie als ‚relevante interessierte Parteien‘. Für uns sind das: Leistungsträger, Kammern, Stadt/Gemeinde/Quartier, Arbeitsgeberverbände, Fortbildungsträger, Vereine, Arbeitsgemeinschaften, Verbände, Politik (Parteien), Kirchengemeinden, Arbeitskreise, Messen, Lieferanten, Kunden.“ Die Aufzählung lässt sich beliebig weiterschreiben. Und hinter jeder aufgezählten Partei verbergen sich viele weitere Interessenspartner und einzelne Personen. Nicht alle Parteien zaubern BiAps aus dem Hut, aber alle sind wichtig für die Netzwerkarbeit: Allein ein Austausch kann schon hilfreich sein und, wie man am Iserlohner Beispiel sieht, die nächste Tür öffnen.

Ohne die aktive und bewusste Umsetzung dieser Prozesse ins Tagwerk der Werkstattarbeit wäre die Ausbildung und der Arbeitsplatz bei Marktkauf vielleicht nicht zustande gekommen.
Richtig angewendet, führen Managementvorgaben aus Normen, ob nun DIN ISO oder QM, zu effektiven und messbaren Ergebnissen. „Und das ist auch wichtig für Klientinnen und Klienten“, sagt Hans-Günter Kripko: „Denn sie können sich darauf verlassen, dass unsere Arbeit zielgerichtet erfolgt. Gleichzeitig geben die Verfahren unseren Mitarbeitenden Sicherheit und Orientierung. Damit bietet das Qualitätsmanagement einen Service für die Führungskräfte, die für die Steuerung der Prozesse verantwortlich sind. Allerdings: Ein Qualitätsmanagementsystem sichert nur die Form und die Strukturen der Arbeit ab, für die Inhalte ist es nicht zuständig. Es sorgt für Transparenz und damit für das erforderliche Vertrauen, ohne das die Inhalte der Arbeit nur schwer umgesetzt werden können. Zertifizierte Abläufe garantieren den Vertragspartnern ein hohes Maß an Verlässlichkeit. Nicht zuletzt auch denjenigen, die die Arbeit finanzieren.“

In Iserlohn jedenfalls begleiten diese Prozesse den Alltag der Mitarbeiter in der Werkstatt. Sie sind ihnen längst in „Fleisch und Blut“ übergegangen, wie Christophe Hessling berichtet. Und das, weil sie im Unternehmen gut implementiert sind und gepflegt und gelebt werden.


Veranstaltungen, die Sie nicht verpassen sollten!

Lust auf neue Arbeit!? Arbeiten im Sozialraum für alle!

„Was will ich?“




Kommen Sie gut durch den Herbst!