Die Jahrestagung des Vereins UN-Konventionell e.V. 2022
Wie kann ich als Jobcoach bei den vielen Anforderungen, die an mich gestellt werden, handlungsfähig bleiben? Diese Fragestellung war das Thema der diesjährigen Jahrestagung des Vereins UN-Konventionell, Netzwerk für Sozialraum-Arbeit. Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie fand sie wieder in Präsenz statt, in den altvertrauten Räumen des Inklusionshotels Hoffmanns Höfe in Frankfurt-Niederrad. Die Veranstaltung war gut gebucht und bot genügend Raum für den persönlichen Austausch.
Inhaltlich nahm die diesjährige Tagung die Belastungen der Jobcoachs in den Blick, die sich aus deren Einzelkämpfersituation ergeben. Sie stehen zudem an der Schnittstelle zwischen den Beschäftigten und ihren Angehörigen, den Werkstätten und den Betrieben und müssen die teils widersprüchlichen Erwartungen aller Beteiligten in Einklang bringen. In der Tagung ging es um Prioritätensetzung sowie um Techniken für Interessenausgleich und Konfliktbewältigung, Selbstorganisation und Zeitmanagement. Kurz, um Strategien für die seelische Gesundheit der Jobcoachs.
Eine Podiumsdiskussion mit Sachkenntnis und ohne Phrasen
Den Anfang machte eine Podiumsdiskussion mit TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen, von der Werkstatt über Andere Leistungsanbieter bis zur Hamburger Arbeitsassistenz. Sie wurde fachkundig moderiert von Sebastian Weyhing (Haus5 Service gGmbH, Hamburg). Die Runde war sich einig, dass in der Prioritätensetzung von Jobcoachs die Bedürfnisse und Anforderungen der Klienten an erster Stelle stehen, auch wenn dies in der Abwägung mit wirtschaftlichen Interessen der Werkstatt nicht immer leicht durchzuhalten sei. Auf die Frage, was die Podiumsteilnehmer für sich als Erfolg verbuchten, lautete die Antwort denn auch: Die Zufriedenheit der Klienten. Jobcoachs, das wurde schnell klar, schweben immer in der Gefahr der Selbstausbeutung. Ständige Erreichbarkeit, auch nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub, seien fast die Regel. Aus der Fürsorgepflicht, so eine Diskussionsteilnehmerin, käme es bei ihnen auch mal vor, einem Jobcoach bei Urlaubsantritt das Diensthandy abzunehmen und den Mail-Account zu sperren.
Als wichtigen Garant für seelische Gesundheit der Jobcoachs sah die Runde den Rückhalt durch die Geschäftsleitung und deren positive Haltung zum Vermittlungsauftrag. Dieser Rückhalt sei aber leider nicht in allen Werkstätten gegeben. Oft fühlten sich Jobcoachs seitens der Verantwortlichen als Person oder in der Funktion nicht ernst genommen. Hinzu komme oft eine Konkurrenz um Leistungsträger innerhalb der Werkstatt und daraus erwachsene Spannungen, bis hin zu wechselseitiger Abwertung. Stress verursachen auch schleppende Entscheidungsprozesse und stockende Abläufe in den inneren Strukturen. Was dagegen hilft, ist der Zusammenhalt im Vermittlungsteam und die Entlastung, die dieser bieten kann. Das Team müsse sich über Strategiearbeit der eigenen Haltung bewusst sein und jedes Teammitglied müsse daraus sein eigenes Wertesystem entwickeln, an dem es bemessen könne, ob es sich treu bleibe.
Vertiefung in Kleingruppen: Die Erfahrungen der TeilnehmerInnen
Die Podiumsdiskussion wurde im Anschluss in vier Kleingruppen vertieft und weitergeführt und alle TeilnehmerInnen hatten Gelegenheit, ihre eigenen Erfahrungen einzubringen. Diskutiert wurde unter anderem der Stellenwert der Dokumentation, die die meisten als lästige, aber unumgängliche Pflicht betrachteten. Eine Überlegung dazu lautete, inwieweit digitale Formen das Dokumentieren erleichtern könnten. Die Diskussionen brachten zudem sehr unterschiedliche Organisationsformen der Dienste zu Tage. Unterschiedlich waren auch die Anforderungen an die Teammitglieder. Die einheitliche Meinung: Es müsse in jedem Fall eindeutig definiert sein, wofür die Jobcoachs verantwortlich seien. Die Frage, ob die Einbettung der Dienste in Werkstattstrukturen hinderlich oder förderlich seien, ließ sich dagegen nicht eindeutig beantworten. Kleine, eigenständige Einheiten, beispielsweise durch die Ausgliederung der Vermittlung als Anderer Leistungsanbieter, machen ein Team wendiger und flexibler. Es kann aber auch von Vorteil sein, die Ressourcen der Werkstatt und ihr gutes Image für die Arbeit zu nutzen.
Eine weitere Fragestellung: Sind öffentlich kommunizierte Vorgaben seitens der Betriebsleitung oder der Leistungsträger in Form von Zielquoten hilfreich? Die TeilnehmerInnen sahen die Gefahr, dass solche Vorgaben Druck auf die Akteure ausübten, die zu Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten in der Vermittlung führen können. Fachdienstinterne, gemeinsam geteilte Zielgrößen seien dagegen sinnvoll. Eine andere Diskussion rankte sich um das Thema: Wen wollen wir vermitteln? Nur die Leistungsstarken oder prinzipiell alle Werkstattbeschäftigten? Diese Diskussion sollte, so der Tenor, in der Gesamtwerkstatt geführt und entschieden werden. In der Runde lautete die vorherrschende Meinung: Wir sehen uns zuständig für alle, die den Willen haben, vermittelt zu werden. Ausschlüsse nach dem Grad der Behinderung sollte es nicht geben.
Ein weiteres Thema war die Offenheit der Wirtschaft für das Thema Inklusion am Arbeitsplatz. Hier lautet eine überraschende Erfahrung, dass manche Firmen das Prinzip der "Diversity" unter ihren Mitarbeitern verinnerlicht hätten und die eher zögerlichen und von Vorsicht geprägten Werkstätten in Sachen Inklusion überholen könnten. Werkstätten hätten oft Probleme, auf das Angebot an Stellen mit den passenden Interessenten zu reagieren. In diesem Zusammenhang wurde die Form der Stellenausschreibungen diskutiert: Reicht dafür ein Aushang oder brauchen Interessenten reale Erfahrungsmöglichkeiten, etwa in Form von unverbindlichen Schnupperpraktika, um sich entscheiden zu können? Fürsorgehaltung und starkes Behütungsdenken der Werkstatt würden die Arbeit der Jobcoachs generell behindern. Oft gäbe es nicht genügend Unterstützung seitens der FABs und im Fall eines Scheiterns eines Arbeitsversuchs Schuldzuweisungen an die Unterstützer.
Der Workshoptag: Beispiel "Umgang mit Spannungen und Konflikten"
Der zweite Tag der Jahrestagung war wie üblich den Workshops vorbehalten. Die erfahrenen Trainerinnen Ulrike Martzinek und Benina Ahrend boten Workshops zum Thema "Zeitmanagement" und "Umgang mit Spannungen und Interessenkonflikten". Sie sind mit dem Thema Vermittlung bestens vertraut, weil sie die Jobcoach-Ausbildung von 53° NORD für Fachkräfte in WfbM entwickelt und in den vergangenen zehn Jahren begleitet haben. Einen weiteren Workshop leitete Kai Göttsch von der Lebenshilfe Pinneberg. In seinem Workshop ging es um den Umgang mit Belastungen: "Mein Schreibtisch ist nie leer - Was ist mein Anspruch an mich selbst? Was treibt mich an? Was will und was muss ich leisten? Wie finde ich die richtige Balance?"
Alle Workshops boten eine Mischung von Inputs aus Wissenschaft und Forschung, Erfahrungsberichten der TeilnehmerInnen und Anteilen von Coaching und Supervision. Als Beispiel sei hier der Workshop "Umgang mit Spannungen und Konflikten" aufgeführt: Benina Ahrend definierte zunächst den Begriff Konflikt ("ab wann handelt es sich um einen echten Konflikt?"), dann führte sie die neun Eskalationstufen nach Glasl ein und sammelte Themen aus der Gruppe. Im deren Bearbeitung benannte sie eine Reihe von hilfreichen Regeln im Umgang mit Konflikten. Dazu zählte beispielsweise,
- dass Selbstklärung und Situationsbewertung bzw. Problemklärung immer einer
Lösungssuche vorausgehen sollte,
- dass die Anteile von Problemanalyse zu Lösungsfindung bei 50 zu 10 liegen
sollten,
- dass es nach experimentellen Erkenntnissen durchschnittlich 33 verbale
Wiederholungen bräuchte, um eine Änderung im Vorgehen oder in den
Abläufen einer Organisation sicher zu installieren,
- dass man Konfliktgespräche immer mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner
beginne sollte ("wir sind uns darin einig, dass...")
- dass "sich abzugrenzen" keine einseitige Grenzziehung sein dürfe, sondern
gemeinsam geklärt werden müsse, wer welchen Raum belegt und dass
gemeinsame Regeln ausgehandelt werden müssten,
- dass man in seinem Diskussionsverhalten alle abwertende Pauschalierungen
vermeiden sollte ("immer", "nie", "alle", "jeder"...)
- dass eine neutrale Beschreibung einer impliziten oder expliziten Bewertung
immer vorzuziehen sei,
- dass man dafür offenbleiben sollte, von seinem Gegenüber verblüfft zu werden,
dafür, dass dessen Verhalten von der Vorerwartung abweicht und uns
positiv überrascht.
Eingebettet waren diese Hinweise und unter anderem in Übungen zum Inneren Team nach Schulz von Thun.
Fazit
Der Fachtag von UN-Konventionell e.V. war wieder den Praktikern gewidmet und geprägt vom Erfahrungsaustausch und von konkreten Hilfen für den Arbeitsalltag. Das Konzept der Veranstalter ging auf, die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen waren mehr als positiv. Der nächste Fachtag im Juni 2023 wird sich mit der Vermittlung von Beschäftigten mit erhöhtem Unterstützungsbedarf widmen.
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